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Wird Dating ab 30 immer komplizierter – oder bilden wir uns das bloß ein?

Geschrieben von Henriette Hell

Ab 30 erwarten plötzlich alle von dir, dass du heiratest, Kinder kriegst oder wenigstens Karriere machst. Aber was, wenn du noch gar nicht soweit bist, bloß Pfeifen kennenlernst oder etwas völlig anderes willst?

Warum es total okay ist, mit 30 noch auf der Suche zu sein

Mit 22 haben wir auf WG-Partys ständig neue Leute kennengelernt. Geflirtet wurde praktisch überall, ganz easy, nebenbei. Jetzt sind wir 30 – und gefühlt wird alles komplizierter: Plötzlich verabschiedet sich ein Saufkumpan nach dem anderen in die Elternzeit. Verlobung hier, Schwangerschaft da, während wir noch gemütlich unsere Matches sortieren. Aber irgendwie gönnt uns das keiner. Von allen Seiten heißt es mittlerweile: „Na, immer noch allein? So langsam musst du aber auch mal zusehen – die biologische Uhr tickt!“ Davor bleiben nicht mal Überfliegerinnen wie Emma Watson verschont. Neuerdings bezeichnet sich die Schauspielerin und UN-Sonderbotschafterin nicht mehr als Single – sie gibt ihren Status als »in einer Partnerschaft mit mir selbst und sehr glücklich« an. Damit Leute, die sie überhaupt nicht gefragt hat, endlich damit aufhören, sie ständig mit taktlosen Fragen zu nerven. Schließlich ist es völlig okay mit über 30 noch auf der Suche zu sein!

Einige Leute quälen sich auch gar nicht mehr mit der Illusion von der ewigen Liebe. Die Aussicht auf ein paar schöne gemeinsame Jahre genügt ihnen völlig. Mein Kumpel Fabs hat mir das neulich auf einer Party etwas genauer erläutert. Unlängst habe er festgestellt, dass Monogamie nichts für ihn sei: Obwohl es mit seiner Freundin gut laufen würde, sehne er sich nach sexuellen Eskapaden mit anderen Leuten. Seine Lust auf Neues sei mittlerweile größer als die Angst vor einer möglichen Trennung. »Was stimmt nicht mit mir?«, fragte er mich, als wir bei einem Kippchen auf dem Balkon zusammenstanden. »Ich liebe meine Freundin doch.«

Ich beruhigte ihn erst einmal. Fast jeder Erwachsene in einer Langzeitbeziehung käme irgendwann an diesen Punkt. Vor allem, wenn er sich in erotischer Hinsicht noch nicht richtig ausgetobt habe oder es innerhalb der bestehenden Partnerschaft an Kreativität oder Mut im Bett mangele. Die Frage sei nun, ob seine Freundin möglicherweise für eine offene Beziehung zu haben sei oder wenigstens für gemeinsame Besuche einer dieser hippen Berliner Sexpartys.

In dem Moment trat unser Freund Paul hinzu. »Sagt mal, wie oldschool seid ihr denn drauf?«, mischte er sich ein. Die meisten jüngeren Leute, so meinte er, würden gar nicht mehr darüber nachdenken, ob etwas für immer sei. »Den Stress tut sich doch keiner mehr freiwillig an. Wozu auch?« Der Trend gehe seiner Meinung nach eindeutig dahin, sich die Freiheit zu nehmen, alles auf sich zukommen zu lassen. Ob eine Beziehung ein Jahr oder drei oder zehn Jahre halten würde – das sei total egal. Ein praktischer Nebeneffekt sei, dass man dann auch viel leichter treu sein könne. »Sobald ich spüre, dass mich andere interessieren, beende ich die Sache lieber gleich.« Innerhalb eines bestimmten Zeitraums sei Monogamie für ihn damit logischerweise kein Problem. »Natürlich ist es ein großes Glück, wenn man jemanden findet, mit dem man weite Strecken seines Lebens zusammen gehen möchte. Aber seit meiner Scheidung stresse ich mich nicht mehr mit Gedanken an eine gemeinsame Zukunft. Meine neue Freundin gefällt mir JETZT. Sie will Kinder, ich nicht. Na und? Zum Glück ist sie zehn Jahre jünger. Dann trennen wir uns eben rechtzeitig wieder.«

Ich überlegte, ob Paul verlernt hatte, sich fallen zu lassen oder Menschen zu vertrauen. Vielleicht brachte er aber auch einfach nur auf den Punkt, was sich sonst keiner traute, laut auszusprechen. Immerhin dauern die Beziehungen der Menschen statistisch gesehen immer kürzer. Liegt es daran, dass wir in einer Zeit leben, in der alles auf Selbstoptimierung ausgelegt ist und Leistungsdruck an allen Fronten herrscht – auch im Schlafzimmer?

»Viele trauen sich gar nicht mehr, eine stinknormale 08/15-Liebe zu leben«, gab Paul noch zu bedenken. »Dabei gibt es nichts Besseres! Einfach schön mittelmäßig vor sich hin dümpeln, sein ruhiges Dasein genießen und sich bloß nicht mit irgendwelchen anderen Paaren vergleichen. Und wenn es vorbei ist: Dankbar sein für das, was war. Nach vorne schauen. Weitermachen.« Hallelujah.

Happy End? Manchmal reicht auch eine Happy Hour

Trotzdem arbeiten viele ab einem gewissen Alter (unbewusst) auf das klassische Klischee-Happy-End hin. Das führt meist dazu, dass wir uns in der ersten Hälfte unseres Lebens einen abmühen, um die Anerkennung anderer zu erringen, weil wir alle noch keinen eigenen Maßstab dafür haben, was uns WIRKLICH guttut. Also hecheln wir fremden Idealen hinterher und hängen die Forderungen, die wir an uns selbst stellen, oft viel zu hoch. Bis wir irgendwann, nach der ersten oder zweiten schweren Krise, feststellen, dass wir die Regeln und Werte für ein gelungenes Leben selbst bestimmen können. Nicht jeder kommt an diesen Punkt, weil der Weg dorthin steinig ist und das, was unterwegs passiert, oft ganz schön wehtut.
Vor allem in der Rushhour des Lebens, zwischen 30 und 40, fühlen sich viele getrieben und stehen unter dem Druck, ständig aus allem das absolut Beste herausholen zu müssen. Beruflich, optisch, privat, intellektuell. Sogar Urlaubsreisen werden unter sozialem Zwang gebucht à la: »Was? Die waren auf Barbados? Dann fliegen wir dieses Jahr nach Hawaii!« Und statt sich vor Ort zu entspannen, wird die ganze Zeit völlig angestrengt nach dem perfekten Urlaubsfoto für die sozialen Medien gesucht. Völlig erschöpft redet dann das vermeintliche #dreamcouple erst mal tagelang kein Wort mehr miteinander, während parallel die Follower vor Neid erblassen. Wie heißt es so schön: »Liebe vor Leuten hat nichts zu bedeuten.«

Im Klartext: Sobald du anfängst, die Suche nach einer oder einem Partner*in zu verbissen zu sehen, schneidest du dir ins eigene Fleisch – denn auf diese Weise wird dir alles abgehen, was Dating so prickelnd und schön macht: Die Vorfreude auf das erste Treffen, das Kribbeln im Bauch, wenn sich eure Hände das erste Mal berühren, der erste Kuss, die erste Nachricht am nächsten Tag…

Irgendwo habe ich gelesen, dass man statistisch gesehen 100 Menschen daten muss, um jemanden zu finden, der halbwegs zu einem passt. Wir werden auf unserer Suche nach der oder dem Einen also zwangsläufig ein paar Frösche küssen müssen. Deshalb tut mir einen Gefallen, liebe Pärchen, und fragt eure Singlefreund*innen nicht bei jedem Treffen nach ihrem Beziehungsstatus. „Es ist kompliziert“ trifft es in 99,9 Prozent der Fälle. Also hört bitte auf, uns ständig auf unseren Fortpflanzungszweck zu reduzieren. Ob ihr es glaubt oder nicht: Neben unserem Liebesleben gibt es noch haufenweise anderen spannenden Kram über den ihr mit uns reden könnt! Wir fragen euch ja auch nicht ständig, wie es gerade so in eurer Ehe läuft!

Schluss mit toxischen Checklisten

Diese toxischen Checklisten, die viele ab 30 in ihren Köpfen haben (mit 28 muss ich spätestens den/die Partner*in fürs Leben finden, mit 30 verheiratet sein, mit 32 Mutter werden usw.) setzen uns bloß unnötig unter Druck und führen eher dazu, dass wir überstürzt Entscheidungen treffen, die uns eigentlich (noch) gar nicht entsprechen.

Wenn es bei manchen von uns etwas länger dauert oder sogar dauern SOLL, bis wir uns mit unserer oder unserem „Endgegner*in“ zusammentun, dann ist das völlig okay. Nicht alles Weltbewegende muss in den Jahren zwischen 30 und 40 passieren! Meine Freundin Betty hat ihre große Liebe „erst“ mit 41 getroffen. „Wir können auch in unseren 40ern noch heiraten, mit 50 unsere wahre Bestimmung und mit 60 unseren Traumjob finden“, predigt sie gerne. Eben! Druck, meine Lieben, brauchen wir nur auf unseren Fahrradreifen. Du bist kein schlechterer Mensch, wenn du mit 40 immer noch am allerliebsten in deinem WG-Zimmer hockst und zu deinen Reptilien sprichst.

Mal im Ernst: Liebe lässt sich nunmal nicht planen und es bringt gar nichts, wenn uns ständig alle durch die Blume vermitteln, dass wir erst dann vollständig oder vollkommen glücklich fühlen dürfen oder können, wenn wir unser „plus eins“ gefunden haben. Es geht nicht nur um dieses eine Happy End im Leben – viel wichtiger ist es, dass wir uns um unsere Happy Existence kümmern – sonst verpassen wir ganz sicher viele lustige Happy Hours!

Das Wichtigste ist, dass wir stets offen bleiben – für all das Gute, das das Universum hoffentlich noch für uns bereit hält, und bis dahin die vielen schönen kleinen Begegnungen mit Menschen genießen, die zwar nicht für uns als Lebenspartner*innen in Frage kommen, aber deshalb nicht unbedingt weniger unterhaltsam oder bereichernd sein müssen, genießen.

Mehr Dating-Tipps von Bestsellerautorin Henriette Hell findet ihr in ihrem neuen Buch „Ihr könnt mich mal … So nehmen wie ich bin. Mein ziemlich geiles Leben ohne Kind und Karriere“ (Gräfe und Unzer). Sie freut sich auch auf Feedback von euch auf Instagram unter @henriette_hell.









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