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All the orgasms I never had: Eine Hommage für mehr Egoismus im Bett

Geschrieben von Rica Pahlke

Während die meisten Männer beim Hetero-Sex immer einen Orgasmus haben, gehen Frauen oft leer aus. Doch warum lassen wir uns das eigentlich gefallen? Und vor allem: Warum fühlt es sich so an, als wäre das in Ordnung?

Let’s talk about orgasms, baby

Wir müssen über Orgasmen sprechen. Nicht nur, weil heute World Orgasm Day ist, sondern auch, weil das viel zu wenig getan wird - besonders, wenn es um den weiblichen geht. Wusstet ihr, dass 95 Prozent der Hetero-Männer beim Sex immer einen Höhepunkt erleben, aber nur 65 Prozent der Frauen kommen, wenn sie mit einem Mann schlafen? Diese Lücke - auch Orgasm Gap genannt - ist unfassbar groß. Viel zu groß, wenn man sich die weiteren Ergebnisse der Studie* anschaut: Während es bei den schwulen und bisexuellen Männern keine erheblichen Unterschiede gibt, erleben unter den Frauen, die mit anderen Frauen ins Bett gehen, 86 Prozent einen Orgasmus. Sorry to say, aber: Frauen sind offensichtlich nicht das Problem. Und wir sollten dringend aufhören, uns das einzureden.

Wir brauchen keinen Penis für unseren Höhepunkt

Wenn ich auf die letzten Jahre zurückschaue, hatte ich mehr schlechten als guten Sex. Woran das lag? Problem Nr. 1 war meine eigene Unerfahrenheit. Ich kannte meinen Körper nicht gut genug, hatte keine Ahnung, was mich befriedigt, und habe mich nicht getraut, meinen (Sex-)Partnern zu sagen, was sich gut anfühlt und was nicht. Hinzu kam die Tatsache, dass Sex für mich immer zu Ende war, wenn der Mann einen Orgasmus hatte. Problem Nr. 2: Der Großteil der Männer hat sich nicht dafür interessiert, ob ich komme oder nicht. Das Ganze war so lange Teil meines Lebens, dass ich irgendwann schon mit dem Thema abgeschlossen hatte. Ist halt so, liegt wohl einfach an mir. Denke ich jetzt darüber nach, würde ich mir am liebsten eine reinhauen. Klar liegt es an mir, deshalb komme ich ja auch jedes Mal, wenn ich mich selbst befriedige. Total logisch.

Heute bin ich glücklicherweise schlauer. Ich weiß, wie ich beim Sex zum Orgasmus komme und dass Zeit und Kommunikation dafür förderlicher sind, als ein Penis. Nur leider habe ich das Gefühl, viele Männer verstehen immer noch nicht, dass ihr Penis allein bei den wenigsten Frauen einen Orgasmus auslöst. Die Frage ist nur: Warum? Steckt Unwissenheit dahinter? Unsicherheit? Oder ist es ihnen tatsächlich einfach egal? Ich habe keine Ahnung. Alles, was ich weiß, ist, dass das echt uncool ist. Ja, der Weg zum weiblichen Orgasmus mag auf den ersten Blick komplizierter erscheinen. Das ist aber noch lange kein Grund, es gar nicht erst zu versuchen. Beim Sex geht es um zwei Personen, die beide Aufmerksamkeit verdienen. Und wenn jemand keine Lust hat, sich mit einem anderen Körper zu befassen, dann soll er*sie es sich bitte einfach selbst besorgen.

Lasst uns aufhören, die weibliche Lust zu ignorieren

Fakt ist, dass Männer beim penetrativen Sex einen klaren Vorteil haben: Die Vagina ist aus Fortpflanzungszwecken dafür ausgelegt, einen Mann zum Orgasmus zu bringen - andersherum ist das nicht der Fall. Genau das ist übrigens der Grund, warum Wissenschaftler*innen den weiblichen Orgasmus lange Zeit ignorierten. Weil er keinen Teil zur Fortpflanzung beiträgt, wurde er schlicht und einfach nicht näher betrachtet. Deshalb lernen wir auch in der Schule so gut wie nichts über die Lust der Frauen. Thematisiert wird nur, wie Babys gemacht werden, dass dafür der männliche Orgasmus nötig ist und wie wir ein Kondom über eine Banane ziehen (immerhin). Hätte der weibliche Höhepunkt im Aufklärungsunterricht den gleichen Stellenwert wie sein männliches Pendant, wären sich vermutlich mehr Menschen darüber bewusst, dass er genauso wichtig ist und genauso präsent sein sollte. Und dass Sex eben nicht nur Penetration bedeutet, sondern die äußere Stimulation der Klitoris für die weibliche Lust eine viel größere Rolle spielt.

Dass Männer anatomisch im Vorteil sind, heißt aber noch lange nicht, dass Frauen im Bett eben die Arschkarte gezogen haben. Wenn ein Mann sich keine Mühe gibt und nicht auf die Bedürfnisse seiner (Sex-)Partnerin eingeht - ganz egal, ob Unwissenheit, Unsicherheit oder Desinteresse dahintersteckt -, ist das nicht okay. Aber wenn wir Frauen uns damit abfinden und kein Wort sagen, ist das auch nicht okay. Deshalb sollten wir das Dilemma, das uns die Wissenschaft eingebrockt hat, auf keinen Fall so stehen lassen. In erster Linie müssen wir dafür sorgen, dass wir unseren eigenen Körper besser kennenlernen und verstehen, wie unsere Lust funktioniert - Stichwort Masturbation. Anschließend haben wir entweder die Möglichkeit, auf einen Mann zu warten, der den vollen Durchblick hat, weil er sich selbst belehrt hat und/oder bereits von einer anderen Frau belehrt wurde, oder wir müssen den Job selbst übernehmen.

Warum Egoismus im Bett mehr als angebracht ist

Das einzige Problem: Über Sex zu reden ist leider gar nicht so einfach, sondern braucht Mut und Selbstbewusstsein. Nicht nur, wenn es darum geht, den ersten Schritt zu machen und Dinge anzusprechen, sondern auch, was die Reaktionen darauf betrifft. Wie groß die Herausforderung sein kann, wurde mir zum Beispiel klar, als ein Mann beim Oralsex mit den Augen rollte, nachdem ich ihn aufforderte, doch bitte weiterzumachen (kein Scherz). Oder als ich eine Story über einen anderen Mann hörte, der von der Hilfestellung seiner Sexpartnerin so abgeturnt war, dass er den Geschlechtsverkehr abbrechen musste (auch kein Scherz). Bei solchen Reaktionen ist es leider kein Wunder, dass viele Frauen Hemmungen haben, offen über ihre sexuellen Bedürfnisse zu sprechen.

Tatsache ist aber, dass wir es tun müssen. Wir dürfen uns selbst beim Sex mit einem Mann nicht länger vergessen und das Gefühl haben, unsere Lust wäre weniger wichtig. Stattdessen müssen wir lernen, egoistisch zu sein, auf die Bemühung unserer Sexpartner zu bestehen und nicht länger zu akzeptieren, dass wir zu kurz - oder besser gesagt gar nicht - kommen. Also: Seid mutig, sprecht eure Bedürfnisse an und ruft euch dabei immer wieder ins Gedächtnis, dass das nicht zu viel verlangt ist, sondern absolut selbstverständlich sein sollte. Und wenn jemand negativ auf eure Verbesserungsvorschläge reagiert, geht das nicht gegen euch persönlich, sondern ist nur ein Zeichen, dass ihr diese Person schnellstens aus eurem Bett schmeißen solltet.

Jede*r von uns hat Orgasmen verdient

Sex kann auch ohne Orgasmus gut sein, das möchte ich gar nicht in Frage stellen. Krampfhaft zu versuchen, sich gegenseitig zum Kommen zu bringen und dabei den Spaß aus den Augen zu verlieren, ist auch nicht Sinn der Sache. Aber wir müssen dringend aufhören, die weibliche Lust in den Hintergrund zu stellen - denn das wurde sie schon viel zu lange und das hat sie definitiv nicht verdient. Im Gegenteil: Wir haben alle Orgasmen verdient. Und wir sollten uns nicht mit einem*einer Sex-Partner*in zufrieden geben, der*die nicht auf unsere Bedürfnisse eingeht. Bitte merkt euch das und traut euch vor allem, das einzufordern, was ihr für einen Höhepunkt braucht. Und liebe Hetero-Männer: Bitte fühlt euch nicht angegriffen, wenn wir euch beim Sex ein paar Tipps geben. Freut euch einfach darüber, dass ihr eine Frau im Bett habt, die selbstbewusst ist und weiß, was sie will. Und dann freut euch darüber, sie zum Kommen zu bringen. Happy Orgasm Day!

 

** Für die US-Studie, die 2017 im Fachmagazin „Archives of Sexual Behavior“ veröffentlicht wurde, befragten Wissenschaftler*innen der Chapman University und dem Kinsey Institut der Indiana University insgesamt 52.588 Personen zwischen 18 und 65 Jahren, darunter 26.032 heterosexuelle Männer und 24.102 heterosexuelle Frauen.

Rica Pahlke ist Online-Redakteurin für alle Themen rund um Dating, Liebe & Sex bei Cosmopolitan Deutschland.

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