Was ist eine aromantische Beziehung?

Von Xenia Ellenbogen

Von den allgegenwärtigen romantischen Komödien bis hin zu den tausend Mal gehörten Refrains vieler Popsongs, immer und überall wird uns gesagt und gezeigt, dass romantische Beziehungen der Goldstandard sind.

Aber hast du schon einmal bewusst darüber nachgedacht, woher du weißt, ob du romantische Anziehung verspürst und wie sich diese Anziehung anfühlt? Oder woher du weißt, was du dir von einer Beziehung eigentlich erhoffst? Eine gemeinsame Wohnung? Kinder?

Aromantische Menschen kennen diese romantische Anziehung kaum oder überhaupt nicht. Romantische Gefühle stehen bei ihnen einfach nicht im Mittelpunkt, aber es geht durchaus um wichtige Aspekte wie Zuneigung und engen Kontakt zu anderen. Ein wichtiger Punkt ist aber, dass es sich bei Aromantik um ein Spektrum handelt, und inwieweit jemand romantische Gefühle für andere entwickelt, ist für jede Person anders.

Wir haben mit Mitgliedern der amerikanischen Organisation Aromantic-spectrum Union for Recognition, Education, and Advocacy (AUREA) gesprochen, um mehr darüber zu erfahren, wie sich aromantische Beziehungen und Identitäten navigieren lassen.

Zentrale Begriffe

Zunächst einmal kann es hilfreich sein, sich mit den folgenden Begriffen vertraut zu machen:

  • Aromantisch Jemand, der wenig oder keine romantische Anziehung verspürt
  • Aromantisches Spektrum Ein Überbegriff für alle aromantischen Orientierungen
  • Alloromantisch Jemand, der romantische Anziehung verspürt und nicht auf dem aromantischen Spektrum ist
  • Asexuell Jemand, der wenig oder keine sexuelle Anziehung verspürt
  • Allosexuell Jemand, der sexuelle Anziehung verspürt und nicht auf dem asexuellen Spektrum ist


Was bedeutet es, aromantisch zu sein?

Alloromantische Menschen haben bei dem Begriff „Beziehung“ oft einen linearen Verlauf vor Augen: Gefühle, Dating, Zusammenleben und später vielleicht Heirat. Die Beziehungsverläufe von Aromantiker*innen variieren stärken und es kann andere Prioritäten geben.

Ian von AUREA sagt über romantische Beziehungen: „Ich stehe ihnen gleichgültig gegenüber. Ich bin nicht aktiv auf der Suche nach einer romantischen Beziehung, aber ich schließe sie auch nicht grundsätzlich aus.“

Tatsache ist, aromantische Menschen können die gleichen Beziehungen eingehen wie alloromantische Menschen.

Cyril von AUREA erklärt, dass es bei aromantischen Beziehungen aber keine eindeutige Roadmap gibt, wie es bei romantischen Beziehungen oft der Fall ist. Hier ist es also schon zu Beginn wichtig, Erwartungen zu managen und bestimmte Punkte anzusprechen.

AUREA-Mitglied Rebecca erklärt, dass viele in der aromantischen Community queerplatonische Beziehungen führen: „Queerplatonische Beziehungen sind weder platonisch noch romantisch. Sie werden oft als feste Beziehungen beschrieben, die enger und intimer sind als Freundschaften, aber bei denen keine romantischen Gefühle im Spiel sind.“


Wie weiß ich, ob ich aromantisch bin?

Noch gibt es nicht genügend Daten, um mit Gewissheit zu sagen, wie viele Menschen aromantisch sind. Der Begriff ist relativ neu und hat sich erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten etabliert. Viele aromantische Menschen berichten von bestimmten Dingen, die ihnen geholfen haben, ihre Orientierung einzuordnen, wie keine Schmetterlinge im Bauch zu haben, nicht für andere zu schwärmen oder einfach andere Beziehungserwartungen und -bedürfnisse zu haben als die Menschen in ihrem Umfeld.

Für Ian war es der Satz „Anziehung ist nicht dasselbe wie aktiv zu werden“, der ihm half, sich seiner aromatischen Orientierung bewusst zu werden. „Es ist eine Sache, mit jemandem auf ein Date zu gehen und eine Beziehung einzugehen, aber eine andere, echte romantische Gefühle für diesen Menschen zu haben. Wer sich die Frage stellt, wie sich romantische Anziehung anfühlt oder ob es sie wirklich gibt, dem kann ich empfehlen, vielleicht einmal bei der aromantischen Community vorbeizuschauen“, so Ian.

Außerdem kann es hilfreich sein, die eigenen Zukunftsvorstellungen genauer unter die Lupe zu nehmen. „Bei mir hat es Klick gemacht, als mir bewusst wurde, dass meine Träumereien von einer Zukunft mit einer Frau, für die ich, wie dachte ich, schwärmte, darin bestanden, zwar ein gemeinsames Haus zu haben, aber in völlig unterschiedlichen Bereichen dieses Hauses zu wohnen. Ich habe mir Nähe, Intimität und etwas Festes mit dieser Person gewünscht, aber mir war plötzlich klar, dass ich kein Bedürfnis nach einer romantischen Beziehung hatte“, erzählt Rebecca.

„Es gibt Menschen, die sich von romantischen Dingen abgestoßen fühlen und denen es unangenehm ist, wenn andere ihnen gegenüber romantische Gesten zeigen“, sagt Cyrill, und fügt hinzu, dass romantische Gestern oder Aktivitäten bei einigen sogar ein Gefühl des Ekels aufkommen lassen können. Auch Situationen, in denen die eigenen Gefühle plötzlich wie weggeblasen sind, sobald die andere Person die Gefühle erwidert, könnten auf eine aromantische Präferenz hindeuten, erzählt er.

Häufige Vorurteile gegenüber aromantischen Menschen

Viele dieser negativen Vorteile basieren auf einer gesellschaftlichen Konditionierung, bei der eine bestimmte Beziehungsform als positiver erachtet wird und anderen Beziehungen weniger Wert zugesprochen wird. Der Ausdruck Amatonormativität beschreibt die Annahme, dass exklusive romantische Beziehungen allgemeingültig sind, was zu ungerechtfertigten und stigmatisierenden Annahmen dahingehend führt, welche Art von Bindungen aromantische Menschen mit anderen Menschen aufbauen.

Diese Amatonormativität ist es, die alloromantische Menschen gelegentlich glauben lässt, aromantische Menschen würden keinerlei Gefühle entwickeln, was nicht der Fall ist. Nähe und Zuneigung können in aromantischen Beziehungen anders aussehen, aber das bedeutet nicht, dass aromantische Menschen nicht dazu in der Lage sind, enge Bindungen einzugehen. Es kommt vor, dass Menschen auf dem aromantischen Spektrum von anderen für einsam gehalten werden, nur weil sie andere Arten von Beziehungen bevorzugen.

Gleichzeitig ist es wichtig, nicht die Ausdrücke asexuell und aromantisch zu vermischen, denn hier geht es um zwei sehr unterschiedliche Dinge. Sie gleichzusetzen, kann zu der falschen Annahme führen, dass aromantische Menschen keinen Sex haben oder haben wollen.

AUREA-Member Tate bringt ein weiteres Missverständnis zur Sprache, „dass unsere Liebe irgendwie begrenzt und missbräuchlich ist, zum Beispiel auf eine queerplatonische Beziehung mit einer alloromantischen Person bezogen.“

Weiter sagt er: „Platonische Liebe ist nicht grundsätzlich weniger ausgeprägt als romantische Liebe. Sie mag andere Formen annehmen, aber letzten Endes geht es um Zuwendung, Zuneigung und Einfühlungsvermögen.“

Was hält die Dating-Szene für Aromantiker*innen bereit?

Weil sich Aromantik auf einem Spektrum bewegt, lässt sich diese Frage nicht einheitlich beantworten, denn die Antwort unterscheidet sich von Person zu Person. Das Dating-Leben einer aromantischen Person kann durchaus wie beim romantischen Dating aussehen, ausschließlich aus platonischen Treffen bestehen, aber auch nicht existent sein.

„Geht es bei einer Beziehung am Ende nicht einfach nur darum, wie zwei Menschen zueinanderstehen? Aromantische Menschen können auch ohne romantische Anziehung die gleichen Beziehungen eingehen wie Alloromantiker*innen, das können Beziehungen innerhalb der Familie, Freundschaften und romantische Beziehungen sein“, so Rebecca.

Einigen kann es helfen, auf ihrem Dating-Profil anzugeben, dass sie aromantisch sind. Cyril erzählt: „Ich gehe in den Dating-Apps, die ich nutze, offen damit um, dass ich aromantisch bin, und ich stelle sicher, dass mein Gegenüber von Anfang an Bescheid weiß und kein Problem damit hat. Ich habe auf ersten Dates sogar schon ziemlich viele interessante Unterhaltungen geführt, in denen es um Aromantik und alternative Beziehungsformen ging!“

Und was ist mit Intimität?

Wie die Bedürfnisse beim Dating sind auch die sexuellen Präferenzen voll und ganz abhängig von der jeweiligen Person. Aromantiker*innen können jede Form von sexueller Identität oder Sexualleben haben.

Tate erklärt, dass sich Aromantiker*innen auch auf dem asexuellen Spektrum bewegen und Sex positiv, neutral oder negativ gegenüberstehen können. „Intimität ist daher eine gänzlich individuelle Angelegenheit und es gibt kein alleingültiges Modell“, sagt er.

Ihm zufolge kann Aromantik auch dabei helfen, emotionale Intimität in Beziehungen aufzubauen, weil es keinen Grund gibt, jemandem etwas vorzuspielen; stattdessen kann der Beziehung mit radikaler Ehrlichkeit begegnet werden.

„Ich glaube, dass wir einen riesigen Vorteil haben, weil wir uns ausgiebig mit unserer Orientierung beschäftigt und kulturelle und gesellschaftliche Normen rund um Romantik und Beziehungen somit hinterfragt haben. Viele aromantische Menschen achten meiner Meinung nach sehr bewusst darauf, Beziehungen aufzubauen, die ihre Werte und Bedürfnisse reflektieren, statt sich den gesellschaftlichen und zeitlichen Konventionen dahingehend zu unterwerfen, wie wir unser Leben leben sollten”, fasst Rebecca es zusammen.

Wie bei allen Beziehungen geht es auch bei aromantischen Beziehungen darum, Grenzen, Erwartungen und Intentionen in Bezug auf Wünsche, Bedürfnisse und Zukunftspläne zu navigieren. Dabei müssen wir in jeder Beziehung kulturelle Normen hinterfragen, wie die Ansicht, dass romantische Liebe alles ist. Dies bringt uns wieder zurück zu unseren Ausgangsfragen, woher wir wissen, ob wir romantische Anziehung verspüren, und was wir uns von einer Beziehung erhoffen. Das beste Schlusswort aber hat Tate: „Liebe ist Liebe, ganz gleich in welcher Form.“