Von Xenia Ellenbogen
Hattest du schon einmal ein richtig gutes Gefühl bei jemandem, doch dann … absolute Funkstille? Du wurdest geghostet! Vermutlich bist du danach ziemlich verwirrt gewesen, den meisten geht es so. Vielleicht hast du auch gedacht: „Ich wüsste gern den Grund!“, und hättest lieber eine ehrliche Antwort erhalten, als einfach nichts mehr zu hören. In diesem Artikel geht es um die Gründe, aus denen Menschen andere ghosten, aber auch darum, wie wir diese weit verbreitete, aber äußerst schmerzhafte Taktik zur Vermeidung unangenehmer Gespräche selbst unterlassen können.
Hilfe haben wir uns dafür von Laura Jacobs geholt, Gründerin der Seite Modern Dating Coach. Sie verrät uns, warum Ghosting heutzutage so verbreitet ist und warum wir diesen Weg nicht selber gehen sollten.
Gründe fürs Ghosten
Tatsache ist: Das Dating der Gegenwart ist von modernen Technologien geprägt. Eine Studie hat gezeigt, dass Online-Dating heute die üblichste Art ist, jemanden kennenzulernen. Doch weil sich uns dabei so viele Möglichkeiten bieten und sich die Matches hinter unserem Bildschirm verbergen, sollten sich viele vorher besser mit der Online-Dating-Etikette vertraut machen.
Da wir inzwischen nur einmal mit dem Finger tippen müssen, um neue Leute kennenzulernen, passiert es schnell, dass wir die Gefühle der Menschen auf der anderen Seite nicht ausreichend berücksichtigen. Jacobs erklärt: „In einer Dating-App ist schnell vergessen, dass am anderen Ende auch ein echter Mensch mit echten Gefühlen sitzt. Wir swipen und shoppen nicht im Internet, sondern wir suchen nach einer realen Person zum Daten, und so sollten wir mit dieser Person auch umgehen.“
Ghosting ist ein Nebenprodukt unserer von Technologien geprägten Dating-Landschaft. Doch warum ist es so verbreitet? Jacobs zufolge geht es dabei „um Konfliktvermeidung; Menschen, die andere ghosten, wollen Konflikten damit aus dem Weg gehen.“ Doch auch wenn sich ein unangenehmes Gespräch durch Ghosting vermeiden lässt, kann dies bei der betroffenen Person mehr Schmerz und Irritation auslösen, als die klare Ansage, dass einfach kein Interesse besteht.
Viele Menschen entscheiden sich fürs Ghosten anstelle eines ehrlichen Gesprächs, weil es normalerweise keine Konsequenzen hat. „Wenn wir die andere Person nicht über jemanden aus dem Freundeskreis kennengelernt haben, ist da einfach niemand, der uns für dieses feige Verhalten zur Rechenschaft ziehen könnte“, erklärt Jacobs.
Weil die Möglichkeiten online endlos seien, so Jacobs, „ist da auch diese Mentalität, dass das Gras auf der anderen Seite grüner ist. Nur wenige halten Ghosting für ein großes Problem; sie suchen sich einfach jemanden, der ihnen besser gefällt, oder ihre Mission ist erfüllt und weiter geht's zum nächsten Match!“
Jacobs verweist auf eine problematische neue Einstellung unter Dating-Willigen: Wir sind der Meinung, unserem Gegenüber beim Dating nichts zu schulden. Doch vor allem, wenn wir mit jemandem schon intim waren „bin ich der Meinung, dass ich dieser Person zumindest eine Art der Erklärung schuldig bin“, so Jacobs.
Wie sich Ghosting für andere anfühlt
Ghosting mag auf den ersten Blick eine bequeme Lösung erscheinen, um unangenehmen Gesprächen aus dem Weg zu gehen, doch es kann schwerwiegendere Folgen haben als zunächst angenommen. „Ghosting triggert unsere Verlassenheitswunde. Dabei handelt es sich um eine ausgesprochen schmerzhafte Wunde, die die meisten von uns aus der Kindheit mit in ihr Liebesleben nehmen. Wir haben Angst davor, verlassen zu werden, und genau das bedeutet Ghosting.“
Laut Jacobs kann Ghosting auch dazu führen, dass wir uns „dumm, unbrauchbar, wütend, verärgert oder traurig fühlen, alles äußerst gerechtfertigte Emotionen in dieser Situation.“
Für manche Menschen mag Ghosting ein Versuch sein, die Gefühle der anderen Person nicht zu verletzen, doch das Gegenteil ist der Fall (und meistens ist dies schlimmer, als der anderen Person von Anfang an ehrlich zu sagen, dass die Sache für uns einfach keine Zukunft hat).
Fakt ist: Hinter unserem Handybildschirm verbirgt sich eine reale Person.
Zähne zusammenbeißen und das Gespräch führen
Jetzt wo wir wissen, was Ghosting für unser Gegenüber bedeuten kann, sollten wir uns mit den neuen Regeln in Sachen Online-Dating-Etikette beschäftigen. Egal, ob das Gespräch telefonisch, per Nachricht oder persönlich stattfindet, alles ist besser, als sich immer mehr in Schweigen zu hüllen und irgendwann einfach zu verschwinden. Wie du das „Ich habe einfach kein Interesse“-Gespräch am besten angehst, ist Jacobs zufolge aber situationsabhängig.
Sie erklärt: „Wenn man bereits intim miteinander war, finde ich schon, dass man der anderen Person ein persönliches Gespräch schuldig ist. Wenn es erst ein oder zwei Dates gab, aber keinerlei sexuellen Kontakt, fände ich auch eine Textnachricht ausreichend.“
Es mangelt einfach manchmal an Kompatibilität, und es ist laut Jacobs völlig OK, dies auch genauso zu kommunizieren. „Herauszufinden, ob man mit jemandem kompatibel ist oder nicht, ist schließlich der Sinn des Datings. Und es ist ganz normal, dass wir nicht in jedem Match einen seelenverwandten Menschen finden.“
Selbst wenn wir die andere Person mit einer ehrlichen Begründung verletzen, weiß sie es vielleicht trotzdem zu schätzen, dass wir uns immerhin die Zeit genommen haben, um ehrlich zu sein (und vielleicht stellt sich dabei heraus, dass das Gefühl auf Gegenseitigkeit beruht).
Alternativen zum Ghosten
Hattet ihr bereits Sex oder hat es sich nach wenigen Dates schon sehr vertraut zwischen euch angefühlt? In diesem Fall rät Jacobs dazu, der anderen Person eine ehrliche Begründung zu geben, wenn du ihr sagst, dass du keine Zeit mehr mit ihr verbringen möchtest. Wenn noch kein Sex im Spiel war und ihr bisher nur ein Date hattet, empfiehlt Jacobs etwas in Richtung: „Es war nett, dich kennenzulernen, aber ich suche einfach etwas anderes. Ich wünsche dir viel Erfolg bei deiner Suche!“
Das Gespräch muss nicht lang sein, aber du solltest deutlich sein und klare Grenzen setzen. Auch solltest du dir deiner Entscheidung sicher sein, bevor du sie kommunizierst. Vermeide Aussagen, die vage sind oder Verwirrung stiften. Selbst wenn sich das in dem Moment einfacher anfühlt, ist es auf lange Sicht meist schmerzhafter. Solltest du dir statt einer Beziehung eine Freundschaft vorstellen können, kannst du das auch genauso sagen.
Ghosting zu vermeiden, ist Jacobs zufolge keine Frage von Integrität. Es ist ein Zeichen von Respekt, jemandem zu zeigen, dass du dich dazu entschieden hast, ihm oder ihr mitzuteilen, dass du kein Interesse mehr hast. Und vielleicht fühlst am Ende auch du dich besser damit, wie du die Sache beendet hast.
*PNAS. "Disintermediating your friends: How online dating in the United States displaces other ways of meeting". Aufgerufen am 5. April 2023. https://www.pnas.org/doi/abs/10.1073/pnas.1908630116.